Schönling mit Schwächen

In Fiats schnuckeligen Retro-Kleinwagen verlieben
sich viele Autofahrer prompt – wenn sie nur wüssten,
wie viele Detailschwächen der Schönling hat.


Er ist eine einzige Erfolgsgeschichte für Fiat:
Jahrelang haben viele Autokäufer die Marke mit den vier
Buchstaben verächtlich als unkaufbar ignoriert.
Manches Modell steht wie Blei beim Händler.
Das hätte sich bereits vor drei Jahren ändern können –
aber Fiat entschied sich, das hochgelobte Retro-Coupé
Fulvia vorerst nicht zu bauen. Den Fehler haben die Italiener
bei ihrer nächsten Retro-Studie konsequent vermieden –
und bekommen zum Dank die Bude eingerannt.
Vom neuen Fiat 500 kann die Turiner Traditionsmarke
gar nicht so viele Autos produzieren, wie die Kunden bestellen.
Ganz offenbar trifft die Gestaltung ganz im
Sinne des alten Cinquecento die Sehnsüchte der Kunden.


Unpraktisch wegen Retro-Design

Die äußere Hülle mit den typischen
Elementen des alten Fiat lässt die
Herzen vieler Autofans höher schlagen:
Die rundliche Front mit ihren schnuckeligen
Kulleraugen, das relativ flache Heck –
Fiat hat ziemlich konsequent die Gestaltung
des Klassikers in sein neues Auto übersetzt.
Außer der gefälligen Formgebung
bringt das aber keine positiven Konsequenzen mit sich,
sondern leider nur Nachteile.
Im Fond können Erwachsene im Prinzip nicht sitzen.
Wegen des rundlichen Daches und des vergleichsweise
schrägen Heckabschlusses ist der
Raum knapper als in vergleichbaren Kleinwagen –
so bleiben die Köpfe eingezogen und
die viel zu niedrig montierten
Kopfstützen drücken in den Nacken.

Schlechte Übersichtlichkeit

Fondpassagieren fällt auf, wie nahe Wohl und
Wehe zusammenliegen: Der Blick erfasst die schlecht
entgrateten und harten Kopfstützen der Vorderleute
ebenso wie das liebevoll gestaltete Cockpit mit seinen
ineinandergruppierten Rundinstrumenten und den
lackierten Flächen in Blechoptik.
In der ersten Reihe sitzt es sich naturgemäß deutlich bequemer.
Doch auch hier bedeutet retro nichts Positives.
So sorgt die vergleichsweise weit nach hinten konstruierte
Sitzposition des Fahrers für eine erstaunlich
schlechte Übersichtlichkeit.
Den Blick nach schräg vorne schränken
die massiven A-Säulen empfindlich ein,
die Front ist nicht zu überblicken.

Überraschend lahm, übertrieben straff
Der Vorteil von Testwagen ist:
Man bewegt sie im normalen Betrieb,
nicht nur auf sorgsam ausgewählten Testrouten.
Und man ist mit normalen Menschen unterwegs,
nicht mit altgedienten Motorjournalisten.
Das erlaubt Experimente, etwa das beliebte Spiel
„Schätzen der Motorleistung“.
Beim unserem Testwagen pendelte sich die
gefühlte PS-Zahl um die 50 ein. Indizien dafür sind die zähe Leistungsentfaltung sowie eine ausgeprägte
Anfahrtschwäche. Irritiert schauten Lenker
beim ersten Anfahren, ob die Handbremse angezogen war.
Der montierte Benziner konnte in keinem
Drehzahlbereich überzeugen und war weder durchzugsstark noch drehfreudig. Auch die stark verzögerte
Gasannahme sprach für eine geringe Motorisierung.
Die Gangstufen fünf und sechs sollten nur äußerst geduldige
Menschen benutzen, weil der Vortrieb damit vollends erlahmt.
So ist im sechsten Gang nur noch eine
zeitlupengleiche Steigerung des Tempos möglich.

Tatsächlich gibt Fiat die Leistung
des 1,4-Liters mit 100 PS an –
was dem außergewöhnlich trägen Fahreindruck
klar widerspricht. So verleitet der Fiat den Fahrer dazu,
das Gaspedal mit einer gewissen
Aggressivität stets bis zum Bodenblech niederzutreten,
damit der Wagen beim Losfahren an der
Ampel nicht den Anschluss zum Vordermann verliert.
Das ist nicht nur nervig, sondern auch unökonomisch.
Unter acht Liter lässt sich der Verbrauch kaum drücken,
mit nennenswertem Stadtverkehrsanteil ist auch
die Zehnliter-Marke schnell überschritten.
Das ist für einen 3,55 Meter langen,
vergleichsweise leichten Kleinwagen definitiv viel zu viel
und auch mehr, als VWs aufgeladener
1,4-Liter (122, 140 oder 170 PS) verbraucht.

Selbst die Fahreigenschaften des Italieners
können nicht mit dem attraktiven Äußeren mithalten.
Kritikwürdig sind die sehr zähe, wenig Gefühl zum
Untergrund vermittelnde Lenkung sowie die misslungene Fahrwerksabstimmung. Der Fiat ist einerseits nicht sportlich,
glänzt aber andererseits auch nicht mit Fahrkomfort.
Vielmehr nervt er mit einer ausgeprägten
Hoppelneigung auf Autobahnen,
die längere Fahrten zur anstrengenden
Tortur machen dürften.

Nur schön reicht nicht

Autos, die vorwiegend wegen ihres (Retro-)
Designs Aufmerksamkeit bekommen,
sind nichtz zwangsläufig auch gute Fahrzeuge.
Dafür ist der Fiat 500 ein besonders ausgeprägtes Beispiel,
weil seinem zweifellos hübschen Äußerem und dem schönen
Cockpit einige gravierende Schwächen gegenüberstehen.
Die wichtigsten sind der zähe, schwächliche Motor,
die ungenaue Lenkung, das unausgewogene,
hoppelige Fahrverhalten sowie die schlechten
Platzverhältnisse im Fond. Der Preis für das schnuckelige
Design ist also hoch – wer auf Letzteres verzichten kann,
findet bei Wettbewerbern bessere Fahrzeuge.

Design | Elque 2007